
Gute Besserung? Ein mobiler Heiler, in Mexiko Sobador genannt, behandelt Patienten mit einer Mischung aus Massage und Glauben. Foto: Guillermo Arias (AP)
In der Schweiz betätigen sich mindestens 30’000 Heiler, die alternativ- oder komplementärmedizinische Methoden anwenden. Die meisten dieser Disziplinen sind relativ harmlos. Gefährlich wird es hingegen, wenn die Heilerinnen und Heiler falsche Diagnosen stellen oder ihre Heilkräfte überschätzen. Oder wenn sie schwer kranke Patienten nicht zum Arzt schicken.
Geht man von der konservativen Schätzung aus, dass rund fünf Prozent der Heiler zu dieser Kategorie zählen, sind bei uns rund 1500 Scharlatane tätig. Wenn sich schwer kranke Patienten ihnen anvertrauen, wird es lebensgefährlich. Todesfälle sind deshalb nicht selten. Der «Tages-Anzeiger» hat schon mehrfach über solche Ereignisse berichtet.
Heiler kann sich jeder nennen, der zum Beispiel einen Wochenendkurs in Reiki absolviert hat. Auch wenn er weder von Anatomie noch Pathologie eine Ahnung hat. Wie verhängnisvoll es sein kann, sich einem Heiler anzuvertrauen, zeigt der Fall der 55-jährigen Deutschen Susanne Reichert, den «Spiegel»-Journalisten aufdeckten.
Vor fünf Jahren entdeckte Frau Reichert einen kleinen Knoten in ihrer Brust. Da ihr Ehemann Siegfried als Heilpraktiker arbeitet und sich als Krebsspezialist anpreist, vertraute sie seiner Diagnose. Es handle sich lediglich um eine Zyste, sagte er und gab ihr eine homöopathische Salbe. Er sah keine Notwendigkeit für eine ärztliche Abklärung.
Der Knoten wuchs, die Schmerzen wurden unerträglich. Nach drei Jahren hielt es Reichert nicht mehr aus und konsultierte gegen den Widerstand ihres Mannes eine Frauenärztin. Diese diagnostizierte einen bösartigen Tumor und empfahl eine Chemotherapie. Ihr Mann riet ihr davon ab. Diese bringe nichts ausser gefährlichen Nebenwirkungen. Er «behandelte» sie mit unzähligen, teilweise gefährlichen oder verbotenen Heilmethoden. Dazu gehörte die tägliche Einnahme von 60 Aprikosenkernen. Diese können Blausäure freisetzen, was zu schweren Vergiftungen führen kann.
Linderung erfuhr Susanne Reichert nicht, das Leiden nahm kein Ende. Sie gebe sich den Heilmethoden mit zu wenig Liebe hin, beschuldigte ihr Mann sie. Im Herbst 2014 unternahm sie einen Suizidversuch, wurde aber im letzten Moment gerettet. Im Spital dann der Schock: Der Tumor war inzwischen durch die Brustwand gewachsen und hatte Herz und Lunge beschädigt. Eine wirkungsvolle Therapie sei nicht mehr möglich, sagten ihr die Onkologen. Sie könnten höchstens den Tod hinauszögern.
Ihr Mann zeigte keine Einsicht und gab seiner Frau die Schuld. Als sie sich von ihm trennte, sagte er, die Krebsmedikamente hätten sie psychisch verändert und bezeichnete sie als Lügnerin.
Scharlatane zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich als unfehlbar fühlen. In ihrem Realitätsverlust sind sie nicht fähig, Fehler einzugestehen und Einsicht zu zeigen. Niemand zieht sie zur Rechenschaft, und sie können sich in aller Ruhe das nächste Opfer aussuchen. Eine Toleranz, die tödlich sein kann.
Der Beitrag Tödliche Fehldiagnose eines Heilers erschien zuerst auf Hugo Stamm.